Muss ich meine Ernährung umstellen, wenn ich mich mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) behandeln lasse?


31.08.2022
Complemedis

Die chinesische Ernährungslehre beruht auf den gleichen Grundsätzen, die auch für chinesische Medizin (TCM) gelten. Wie folgt man diesen? Soviel schon mal: es will mitnichten heissen, dass wir jetzt chinesische Lebensmittel kaufen gehen müssen.

Asiatisches gemuese

In China und auch weiten Teilen Asiens dreht sich das ganze Leben um das Essen. Da es einen so wichtigen Stellenwert hat, ist es auch logisch, dass darüber viel gesprochen, gedacht und geschrieben wird. Chinesische Gäste wundern sich immer, warum die Geselligkeit in Beizen sich bei uns häufig in der gemeinsamen Konsumation von Getränken erschöpft. In China wird, so man sich unter Freunden trifft, hauptsächlich gegessen und das ist keineswegs ein Privileg, das Älteren und Wohlhabenderen zusteht, sondern das trifft auch auf junge Studentinnen und Studenten zu. Aber die Zeiten scheinen sich gerade ein bisschen zu ändern.

Seit Jahrhunderten haben Chinesen klare Vorstellungen, was gesund ist und was nicht. Dieses Wissen ist in der Bevölkerung bis heute weit verbreitet und erst die jüngste Generation scheint dies nicht mehr so prominent präsent zu haben. Westliche Fastfoodketten wirken auf viele junge Leute in China magnetisch anziehend: Iced Coffee (Bing Ka Fei), Bagles, Burger, Chicken Nuggets und Wings, Bubble Tea: für manche gilt es als hip, solche Produkte zu konsumieren. Bei meinem Besuch Chinas in den 80er Jahren sah ich, ich schwöre es, noch nicht eine einzige Person mit Übergewicht. Das ist inzwischen ganz anders. Immerhin ist heute ein gewisser Gegentrend gegen die neuen Einflüsse aus dem Westen zu beobachten. Aus ernährungstechnischer Sicht gut, aber vielleicht auf dem Mist des neuen ideologischen Feldzuges gewachsen, wonach alles, was von aussen kommt, schlecht für China ist. Isolationismus, Revisionismus und Patriotismus ist gerade Diktat.

Bei uns ist zunehmend auch ‘regional’ Trumpf, aber aus anderen Gründen. Konsumiert werden sollen Lebensmittel, die hier gewachsen sind, denn das macht ökologisch und klimatechnisch Sinn, meistens jedenfalls.

Auch hiesige Produkte können aus dem Blickwinkel der Traditionellen Chinesischen Ernährungslehre zubereitet und genossen werden. Wir müssen also nicht notwendigerweise in Asialäden fremdländisches Gemüse oder sogar exotisches Getier kaufen gehen.

Die chinesische Ernährungslehre teilt alle Lebensmittel in gewisse Kategorien ein.

Chilis – Foto: Si-yü Steuber

Als Erstes Kriterium wird jedem Lebensmittel ein Temperaturverhalten zugeschrieben: Es gibt warme oder heisse Produkte wie z.B., augenscheinlich Chili oder Ingwer. Daneben gibt es kalte oder kühlende wie etwa Pfefferminze. Schliesslich gibt es auch solche mit einem neutralen Temperaturverhalten. Reis ist ein solches.

Eine nächste Klassierung ordnet alle Esswaren einem der fünf Funktionskreise, auch Elemente genannt zu: Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser. Zu jedem Element gibt es Entsprechungen bei den Organen und ihren Funktionen. Zum Wasser etwa gehört die Niere. Lebensmittel, die dem Element Wasser zugeordnet sind, wirken demzufolge auf die Niere. Scharfe Mittel beeinflussen die Lunge, neutrale wirken auf den Verdauungstrakt, in China der ‘Milz’ zugeordnet, wobei darunter nicht unser westliches Organ Milz zu verstehen ist, sondern der Verdauungstrakt, der Speichel, Magen, Galle, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm umfasst.

Die Fünf-Elemente-Lehre ist also ein System der Entsprechungen. Genau gleich, wie jedem Element ein Organ zugeteilt wird, eine Geschmacksrichtung, eine Farbe etc., wird auch jedes Gemüse, jede Frucht, jede Art Fleisch, jedes Getränk und jedes Getreide einem Element zugeordnet. Die Schlussfolgerung daraus ist die, dass ein Lebensmittel und ein Organ, das dem gleichen Element zugeordnet wurde, zusammenpassen. Wir können nun bei gewissen Störungen mittels entsprechender Wahl von Esswaren Gegensteuer geben und so wieder Harmonie im Körper schaffen und bei Mangel in einem Funktionskreis oder Organ Bausteine (Yin) und Energie (Yang/Qi) liefern.

Fünf-Elemente-Lehre

Fünf-Elemente-Lehre

Das Ganze beruht auf einer individuellen Zuordnung. Nicht jeder Mensch ist gleich. Der eine ist von eher kühler Natur, friert ständig und die andere kommt schnell in Wallung. Somit braucht der erste eher Mittel, die seinen Körper wärmen und die zweite solche, die ihn abkühlen oder zumindest nicht noch mehr aufheizen. Weil wir alles immer vom einzelnen Individuum aus betrachten müssen, dürfen wir nie pauschal über die Qualitäten eines Lebensmittels urteilen. Konkret darf man also ein bestimmtes Lebensmittel, egal woher es kommt, nicht generell gut oder schlecht finden. Geeigneter ist eine Beurteilung, die die Mittel als für ein Individuum als geeignet oder eben als eher ungeeignet kennzeichnet. Selbst die von manchen pauschal als schlecht bezeichneten Milchprodukte sollte man nicht so behandeln. Da gibt es grosse Unterschiede: Milch ist etwas ganz anderes als Käse und über lange Zeit gealterter Hartkäse ist etwas ganz anderes als Frischkäse. Und ja: Vielen bekommen tatsächlich viele Milchprodukte wie Joghurt oder Frischmilch nicht gut, vor allem wenn sie kalt direkt aus dem Kühlschrank genossen werden oder wenn Joghurt gar noch mit Zucker und Früchten versetzt ist, aber es gibt Menschen, deren Konstitution ist von Natur aus derart stark, dass sie einiges vertragen, womit andere grosse Probleme bekommen.

Im Zeitalter der Globalisierung besinnen wir uns angesichts der aktuellen Krise (2022) mit Lieferkettenproblemen auf Regionalität und kurze Transportwege. Trotzdem möchten wir dem Essen etwas Pfeffer geben und der wächst eben nicht bei uns. Oder sollte ich angesichts der Klimaerwärmung sagen: noch nicht? Und wenn alle ihren Risottoreis nur noch aus dem Tessin oder aus der Po-Ebene beziehen wollten, würde das die Grenzen des Möglichen auch sprengen.

Dass unsere regionale Produktepalette an Lebensmitteln kleiner ist als in anderen Weltgegenden, ist zu einem grossen Teil dem Umstand geschuldet, dass wir in einer Klimazone leben, in der im Winter Frost auftritt. Es ist gut, wenn wir uns überlegen, woher wir unsere Lebensmittel beziehen. Um sich nach den Grundsätzen der Chinesischen Ernährungslehre zu ernähren, brauchen wir nicht zwingend asiatische Lebensmittelläden zu frequentieren. Wir gehen aus anderen Gründen dorthin, wohl ähnlichen, wie wenn wir uns bei den hiesigen Grossverteilern ein Lammracket aus Neuseeland greifen.

Die Kleider kommen aus Bangladesch, die Baumwolle aus Indien, das iPhone wird in China zusammengebaut, der Mikrochip kommt aus Taiwan, die seltenen Erden in der E-Bike-Batterie aus dem Kongo oder aus der Mongolei – ach, das Leben ist kompliziert geworden. Es müssen sicher nicht im Winter Erdbeeren aus Südafrika sein, aber Reis und Tee und Kaffee eben doch und manchmal Schokolade aus Kakao von weit her.

Zusammenfassend nochmals: Jedes Lebensmittel, egal woher es kommt, kann nach den Kriterien der Traditionellen Chinesischen Ernährungslehre eingeteilt werden und jeder Mensch kann in seiner momentanen Situation ebenfalls nach den Regeln der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) beurteilt werden und daraus leitet sich dann ab, was für jede Person gut und gesund, bzw. besser oder schlechter ist.

Patientinnen und Patienten, welche wegen eines gesundheitlichen Problems eine TCM-Praxis aufsuchen und dort eine Behandlung mit Akupunktur und/oder chinesischen Kräuterrezepturen bekommen, tun gut daran, auch ihre Essgewohnheiten mit der TCM-Fachperson zu diskutieren, denn die tägliche Ernährung sollte einer Kräuterrezeptur nicht völlig entgegenlaufen. Oft reichen simple Änderungen im Essverhalten wie etwa die, keine Lebensmittel mehr direkt aus dem Kühlschrank zu konsumieren, sondern nur noch warme Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Oder noch einfacher: Keine kalten Getränke aus dem Kühlschrank, sondern solche mit Raumtemperatur oder noch lieber warm.